Religion, Gerechtigkeit und Treue im Namen der Freiheit hinweggefegt
In den Jahren 1642-1688 vollzog sich in England der schicksalhafte Übergang von einer durch die reformatorische Theologie (Althusius‘ Idee des Bundes) geprägten Gesellschaftsordnung zu einer völlig anderen, in der humanistische Grundsätze verwirklicht wurden. Genau genommen bedurfte es zweier englischer Revolutionen (1642-1648 und 1648-1649), eines Staatsstreichs und einer ausländischen Invasion, um dem Whiggismus zum Sieg zu verhelfen. Diese Gesellschaftsordnung zeichnete sich besonders durch die Vertragstheorie aus, die die Grundlage des Liberalismus von John Locke bildete. Jean-Jacques Rousseau trat 1762 mit einer weiterentwickelten Variante der Vertragstheorie an die Öffentlichkeit. Obwohl es im Großen und Ganzen richtig ist, dass John Lockes Version des Liberalismus in den Vereinigten Staaten bis 1890 gültig war, müssen einige Details hinzugefügt werden, um ein genaueres Bild der Situation zu erhalten. Den eigentlichen Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte von der ersten Version der Vertragstheorie (Locke) zur zweiten (Rousseau) markieren die beiden Amtszeiten der Präsidentschaft Andrew Jacksons von 1829 bis 1837. Doch erst in der sogenannten Progressiven Ära, die um 1890 begann und um 1923 endete, konnte sich die zweite Version offiziell als Staatsform durchsetzen. Seit dieser Zeit dominiert in Amerika die Sozialdemokratie (Rousseau), die die republikanische Demokratie (Locke) verdrängte. In anderen westlichen Ländern vollzog sich der Übergang von einer Regierungsform zur anderen zu unterschiedlichen Zeiten. In Großbritannien führte Premierminister David Lloyd-George Rousseaus Vertragstheorie in den Jahren 1916-1922 ein. In Deutschland erfolgte die Einführung derselben Vertragstheorie am 9. November 1918, als die Weimarer Republik ausgerufen wurde. Dass diese deutsche Regierung als „Republik“ (Locke) bezeichnet wurde, war eine bewusste Täuschung der damals führenden Politiker, insbesondere des Sozialdemokraten Philipp Heinrich Scheidemann. Sie war von Anfang an eine Sozialdemokratie (Rousseau).
Bild: Während der Novemberrevolution verkündete Scheidemann am 9. November 1918 von einem Balkon des Reichstagsgebäudes aus den Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs und proklamierte die Deutsche Republik.
In Frankreich erfolgte die Einführung der Rousseauschen Gesellschaftsordnung Anfang Juni 1793 und dauerte bis zum Juli 1794, dem Ende der jakobinischen Schreckensherrschaft. In einer Reihe weiterer Revolutionen im 19. Jahrhundert erlangte sie erneut staatliche Gültigkeit.
Bild: Karikatur auf die Schreckensherrschaft von James Gillray (1793): „Der Zenit des französischen Ruhms: Der Gipfel der Freiheit. Religion, Gerechtigkeit, Treue und all ihr Schreckgespenster unaufgeklärter Geister, lebt wohl!“
In der nächsten Woche werde ich zeigen, welche religiösen Vorstellungen sich hinter der Vertragstheorie in ihren beiden Ausprägungen verbergen. Es wird ersichtlich werden, dass sie genau das Gegenteil des christlichen Glaubens vermitteln; am deutlichsten wurde dies in der Zeit der jakobinischen Schreckensherrschaft unter Maximilien Robespierre (1758-1794) während der Französischen Revolution.
Dan. 11,36: »Der König wird alsdann nach seinem Gutdünken handeln, sich überheben und sich gegen jeden Gott groß dünken; er wird auch gegen den Gott der Götter unerhörte Reden führen und dabei Erfolg haben, bis das Maß des (göttlichen) Zornes voll ist; denn was beschlossen ist, kommt zur Ausführung.
Hermann Menge-Übersetzung
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